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Übersetzungsfehler in der Bibel: Es ist genug! (Mk 14,41)

martinzoebeley

Aktualisiert: vor 4 Tagen


Gethsemani: Eine Schlüsselszene des Mk mit einer entscheidenden Aussage Jesu. Umso erstaunlicher ist die Beharrlichkeit, mit der nahezu alle deutschen Übersetzungen an einer falschen Übersetzung der Vulgata festhalten.


Freilich ist die kurzgliedrige Satzkette in 14,41 rätselhaft, ihre Prägnanz typisch für den Erzählstil des Mk. Mag der Ausdruck απεχει (apechei) zunächst kryptisch oder auch anstößig erschienen sein, so konnten spätere Übersetzungs- und Auslegungs-Traditionen mit ihm offensichtlich nicht mehr viel anfangen.


Dennoch lässt sich seine enorme Bedeutung aus dem Kontext verhältnismäßig zweifelsfrei erschließen. Dazu muss der Ausdruck einfach nur wörtlich genommen werden: Er ist weg. Indem das Subjekt fehlt, bleibt offen, wer oder was entfernt ist. Das gilt es hier herauszufinden.


Genau denselben Ausdruck hatte Mk schon einmal im Rahmen eines Jesaia-Zitats verwendet, um die Distanz der angesprochenen Heuchler (bzw. seiner judäochristlichen Schüler) zu Jesus zum Ausdruck zu bringen: […] ihr Herz ist weit entfernt von mir (7,6, vgl. Jes 29,13).


Da ist der Sinn des Ausdrucks keineswegs rätselhaft; auch in der Vulgata ist er angemessen wiedergegeben (longe est a me). Analog wird er an anderen Stellen übersetzt (vgl. Lk 7,6; 15,20).


Vor allem wird das Verbum im Neuen Testament und bei den Kirchenvätern für den Abstand im übertragenen Sinn, für Enthaltsamkeit gebraucht. Im Lateinischen wird dafür jeweils eine Form von abstinere verwendet.


Beispiellos ist dagegen die lateinische Übersetzung in 14,41 mit sufficit (Es ist genug). Die lexikalischen Begründungen dafür sind ebenso dünn wie die angeblichen Parallel-Fälle. Einmal mehr zeichnet sich ab, dass die lateinische Übersetzungs-Tradition den Sinn bewusst umgedeutet hat.


Ähnliches lässt schon die Parallele des Matthäus-Evangeliums vermuten, die den Ausdruck ersatzlos weglässt, obwohl der Kontext weitgehend beibehalten ist (Mt 26,45). Bei Lukas und Johannes fehlt der entsprechende Jesus-Kommentar.


Die Übersetzung mit sufficit rückt die Drei in die Nähe des Elias, der in der Wüste mit der Wendung Es ist genug! sich selbst den Tod wünscht, bevor er schläft (vgl. 1 Kön 19,4).


Der äußere Rahmen der Gethsemani-Episode ist allgemein bekannt. Jesus nimmt auf dem Grundstück Gethsemani Petros, Jakobos und Johannes mit sich und fordert sie auf, hier zu bleiben und zu wachen, nachdem er sie zuvor bereits dreimal zur Wachsamkeit ermahnt hatte. Sie aber schlafen dreimal, mit der Folge, dass Petros als Türhüter disqualifiziert ist (vgl. 13,34).


In ihrem (Sünden-)Schlaf versäumen sie Wesentliches: Zunächst die zutiefst menschliche Seite Jesu, den es vor der Stunde (seiner Auslieferung in die Hände der Menschen) schaudert und der bis zum Tod tieftraurig ist (14,33f).


Dann sein indirekt genanntes Gebet (dass die Stunde vorübergehe, weg von ihm, 14,34) sowie die parallele direkte Bitte (dass der Becher weggenommen werde, weg von mir, 14,35).


Die erste dieser beiden Bitten wird von Gott offenkundig nicht erfüllt; wie Jesus selbst feststellt, ist die Stunde gekommen (14,41). Unmittelbar zuvor bestätigt er hingegen die Erfüllung seiner zweiten Bitte, nämlich, dass er weg sei. Damit kann nur der Becher gemeint sein, den sein Vater ihm wegnehmen sollte (weg von mir).


Zuvor wiederum spießt Jesus mit einer ironischen Spitze den Schlaf der Drei auf, der in scharfem Kontrast steht zu seinem eigenen Ergehen als Gottesknecht (vgl. Jes 53,11).

Die Satzkette in 14,41 lautet also etwa: […]

Verschlaft den Rest und ruht aus.

Er ist weg.

Gekommen ist die Stunde.

Siehe, der Menschensohn wird in die Hände der Sünder übergeben.

 

Danach weckt Jesus die Schlafenden und fordert sie zu gehen auf, bevor er auf denjenigen (Judas) hinweist, der nahe gekommen sei, um ihn zu übergeben. Die Übergabe in die Hände der Sünder ist der entscheidende Akt der Gethsemani-Geschichte.


Die entscheidende Aussage dabei ist der besagte Ausdruck (Er ist weg). Der bezieht sich, wie gesagt, darauf, dass Jesus eingangs seinen Vater darum gebeten hatte, den Becher von ihm wegzunehmen. Da hatte er noch hinzugefügt: Aber nicht, was ich will, sondern was du! (14,36).


Die Auslegungs-Tradition hat in dem Becher seit je ein Symbol für den Leidens-Kelch gesehen, wie sie auch die Angst Jesu nur auf den Kreuzestod bezogen hat, nicht auf die Stunde der Übergabe. So wurde die eigentliche Pointe übersehen: Dass der Becher für den Bund mit den Zwölfen steht, der beim letzten Mahl geschlossen werden sollte.


Der war allerdings insofern nicht gültig zustande gekommen, als alle Zwölf daraus getrunken hatten, ohne zu wissen, was sie tun. Die sarkastisch auf das Opfer-Blut hinweisende Deutung Jesu erfolgte ausdrücklich erst danach, nach ihrem Blut-Genuss (14,25).


Der Jesus des Mk hatte seinen Vater also um nichts weniger gebeten als um die Aufhebung des fragwürdigen Bundes mit den Zwölf. Dass sie tatsächlich erfolgt ist, bestätigt er selbst mit dem kurzen Ausdruck: Er ist weg.


Der Bund ist also von Jesus weggenommen. Das bedeutet zugleich: Ein Neuer Bund wird erst im Königtum Gottes und ohne die Zwölf geschlossen. Eine derartige Depotenzierung der Zwölf konnte die römisch-lateinische Tradition nicht dulden.


Die Aufhebung des Bundes war gleichwohl eine Voraussetzung dafür, dass Jesus in die Hände der Sünder übergeben werden konnte. Ihre Flucht anlässlich einer (unvollendeten) Gerichtsdrohung wurde zum Beleg dafür, dass die Zwölf den Bund mit Jesus ohnehin nicht erfüllen konnten (14,50).



PS: Auf dem Bild oben ist die Stelle in der Fassung des Codex Bezae zu sehen (fol. 339v), wo sie durch eine eigentümliche Ergänzung umgedeutet wird (vgl. fünftletzte Zeile):

και αναπαεσθαι · απεχει το τελος και η ωρα

(lat.: sufficit finis et ora). 

 
 
 

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