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Wer war Andreas?

Aktualisiert: 19. März


Auf dem Bild ist fast nichts zu sehen von dem Kreuz, an dem Andreas der Legende nach gestorben sein soll, geschweige denn von einem Kreuz in X-Form, einem Hinweis auf den griechischen Buchstaben Chi des Christus-Monogramms. Caravaggio stellt stattdessen die beiden Körper gleichsam als Kreuz dar – in einer angedeuteten X-Form.


Über das Ergehen und den tatsächlichen Tod des Apostels ist in der Bibel nichts zu erfahren. Umso phantasievoller sind die späteren Berichte über ihn. Andreas habe in Griechenland und Kleinasien missioniert, sei der erste Bischof von Byzanz gewesen und schließlich in Patras am sog. Andreaskreuz hingerichtet worden.


Der Grund für das biblische Schweigen ist naheliegend: Dieser Andreas, wie Mk ihn bezeichnet, ist eine literarische, keine historische Figur. Ebenso wie Judas, der letzte der Zwölf, ist er ein narratives Konstrukt des Mk (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/judas-ein-verräter).


Dieser These liegen die wenigen Textstellen zugrunde, die unten der Reihe nach aufgeführt und beschrieben werden. Mk nennt den Namen Andreas insgesamt viermal, Matthäus zweimal und Lukas nur ein einziges Mal. Etwas anders sieht es bei Johannes aus, wo Andreas als selbständiger Akteur kurz von Bedeutung ist.


Eben das fällt bei Mk auf: dass er als Statist im Hintergrund bleibt. Dieser Andreas kommt, wenn überhaupt, nur zusammen mit anderen Akteuren in den Blick des Erzählers, mit seinem Bruder Simon oder im Verbund mit anderen aus der Zwölfergruppe.


Seine Bedeutung scheint somit auf wenige Momente beschränkt zu sein, die gleichwohl miteinander korrelieren:

-       Er wird als Bruder des Simon (Petros) eingeführt (1,16).

-       Er wird als Vierter in der Liste der Zwölf genannt (3,18).

-       Er ist bei der esoterischen Endzeit-Rede Jesu beteiligt (13,3).


Das wichtigste Merkmal aber und ein Hinweis auf seine literarische Funktion ist der Name Andreas, der seit hellenistischer Zeit belegt ist.  Auf ihn nimmt Mk nicht ausdrücklich Bezug, und doch ist er doppelt bedeutsam. Andreas ist ein griechischer Name – und als solcher im jüdischen Kontext auffällig. Zudem ist er bedeutungstragend – im Sinn von mannhaft, mutig oder tapfer (ἀνδρεῖος).


Hier also eine kurze Beschreibung der vier Stellen, an denen Andreas von Mk namentlich genannt wird:


1,16:

Καὶ παράγων παρὰ τὴν θάλασσαν τῆς Γαλιλαίας εἶδεν Σίμωνα καὶ Ἀνδρέαν τὸν ἀδελφὸν Σίμωνος ἀμφιβάλλοντας ἐν τῇ θαλάσσῃ· ἦσαν γὰρ ἁλιεῖς.


Auf den ersten Blick erscheint alles ganz normal: Jesus geht am Meer von Galiläa entlang und sieht zwei Brüder, die (ihre Netze) im Meer herumwerfen. Tatsächlich aber gibt es dabei auffällige Störungen im Erzähl-Ablauf (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/übersetzungsfehler-1-16-die-netze-des-simon-und-seines-bruders).


Mit den bereits beschriebenen Auffälligkeiten ist hier festzuhalten:


  • Beide werden von Jesus gesehen, Simon wird dabei nur zuerst genannt. Dies und die ausdrückliche Nennung des Andreas spielen auf die sog. Protovision des Petros an und damit auf seine exklusive Position, die darauf gründet, den Auferstandenen zuerst gesehen zu haben (vgl. 1 Kor 15,5).

 


  • Simon wird doppelt genannt. Anstelle der umständlichen Formulierung (der Bruder des Simon) hätte eine einfache Apposition (sein Bruder) genügt. Dadurch bleibt Simon im Fokus des Erzählers.

 

 

  • Die griechische Herkunft des Namens Andreas fällt hier besonders auf – durch die Verbindung mit dem jüdischen Namen des Simon (anstelle von Symeon), der seinerseits bedeutungstragend ist. Simon kann auf Hebräisch als ein Hörender gedeutet werden, auf Griechisch (σιμός) hingegen als stupsnasig, nach Hesych auch als blind.

 

  • Dass diese beiden Akteure als (fiktive) Brüder von vorne herein zusammengespannt werden, könnte einen Anhalt in der Biographie des Petros haben, nämlich seine Ablehnung des gemeinsamen Mahls von Juden (bzw. Judäochristen) und Griechen (bzw. Völkerchristen, vgl. Gal 2,12). Diese Vermutung wird durch die nächste Stelle bestätigt.

 

1,29:

Καὶ εὐθὺς ἐκ τῆς συναγωγῆς ἐξελθόντες ἦλθον εἰς τὴν οἰκίαν Σίμωνος καὶ Ἀνδρέου μετὰ Ἰακώβου καὶ Ἰωάννου.


Wieder wirkt die Exposition der Geschichte gestört, diesmal durch die Häufung der Namen. Dass Simon (Petros) eine Schwiegermutter hatte, erscheint historisch plausibel (vgl. 1 Kor 9,5). Mit der zusätzlichen Nennung des Andreas wird nicht ausgesagt, dass sie beide unter einem Dach gewohnt hätten. Der Begriff der Oikia scheint vielmehr zu bestätigen, dass (der Jude) Simon und (der Grieche) Andreas mit der Hausgemeinschaft zugleich auch die Mahlgemeinschaft gepflegt hätten (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/die-geschichte-der-schwiegermutter-des-petros-mk-1-29-31).

 

3,17f:

καὶ Ἰάκωβον τὸν τοῦ Ζεβεδαίου καὶ Ἰωάννην τὸν ἀδελφὸν τοῦ Ἰακώβου καὶ ἐπέθηκεν αὐτοῖς ὀνόμα Βοανηργές, ὅ ἐστιν υἱοὶ βροντῆς· καὶ Ἀνδρέαν καὶ Φίλιππον καὶ Βαρθολομαῖον καὶ Μαθθαῖον καὶ Θωμᾶν καὶ Ἰάκωβον τὸν τοῦ Ἁλφαίου καὶ Θαδδαῖον καὶ Σίμωνα τὸν Καναναῖον


In der Aufzählung der Zwölfer-Liste rutscht Andreas wegen der Dominanz der drei Säulen (Gal 2,9) auf die vierte Stelle ab. Damit fehlt jede Beziehung zum Erstgenannten, zu Petros, während beim anderen Brüderpaar die verwandtschaftlichen Verhältnisse erneut in aller Ausführlichkeit beschrieben werden. (Vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/die-geschichte-der-einsetzung-der-zwölf-mk-3-13-19).


Dafür zeigt der nun anschließende Name des Philippos, dass Andreas unter den Zwölf keineswegs der einzige ist, dem der Verdacht des Nichtjuden anhaftet. Das ist es nämlich, was Mk mit seiner Aufzählung der Namen intendiert: Diese Zwölf sind kein neues Israel – und können es allenfalls in ganz neuer Bedeutung sein.

 

13,3:

Καὶ καθημένου αὐτοῦ εἰς τὸ ὄρος τῶν ἐλαιῶν κατέναντι τοῦ ἱεροῦ ἐπηρώτα αὐτὸν κατ’ ἰδίαν Πέτρος καὶ Ἰάκωβος καὶ Ἰωάννης καὶ Ἀνδρέας·


Wieder wird Andreas erst an vierter Stelle genannt; von einer brüderlichen Beziehung zu Petros ist auch hier nichts zu erkennen. Ein Bezug zu ihm kommt dennoch zustande dadurch, dass Jesus Verhaltens-Vorgaben für die Bedingungen der Märtyrerschaft macht. Dass Petros in Bedrängnissen kein Vorbild ist, weil er sofort von Jesus abfällt, hatte sich erstmals in 4,5 abgezeichnet.


Dementsprechend ist hier der Name des Andreas von Bedeutung: Zeuge für Jesus zu sein, das bedeutet – in Oppostion zu Petros – nicht auf einen angeblich auferstandenen Christos hinzuweisen (13,21), sondern die gute Botschaft zu verkünden (13,10), in Bedrängnis bis zum Ende durchzuhalten (13,13) und eben damit ein Andreas, d.h. tapfer, zu sein.


Als Komplementärfigur zu Petros gehört auch Andreas den Zwölfen an und damit zu jenen, die alle von Jesus fliehen (14,50). Hier findet sein Mut und seine Tapferkeit eine eindeutige Grenze.


Dagegen und im Unterschied zu Petros sollen die Leser:innen des Mk als potenzielle Zeugen Jesu unter dem Druck öffentlicher Demütigungen oder körperlichen Peinigungen durchhalten und in seiner Nachfolge bereit sein, das Kreuz auf sich zu nehmen (8,34).


Ob Andreas als Apostel später dazu bereit war? Zumindest für das literarische Konstrukt des Mk kann das ausgeschlossen werden.

 
 
 

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