Glosse: Das Öhr des Markus
Aktualisiert: 27. Aug. 2022
Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme. (10,25, LUT)
Ein Öhr ist da, wo etwas nicht ist. Seit Tucholskys erfüllender Studie ist das Loch in aller Munde, nicht aber das Öhr. Auch das muss offen bleiben, um eines zu sein, mindestens so offen, dass der Faden durchgehen kann, für den es ebenso geschaffen ist wie das Nichts, aus dem alles geschaffen ist (2 Makk 7,28).
Dieses Durchgehen durchs Öhr ist die Grundlage seiner Existenz; darin unterscheidet es sich vom Loch, in das etwas (oder auch Mann) hineingehen kann. Freilich wird nicht jeder überall hineinkommen, der das möchte, beispielsweise deshalb, weil er zu viel hat (10,22).
Realistischer aber ist, weil es ihm an Einkommen mangelt. Weil seine Geldbörse ein Loch hat, sein Haushalt oder das Hirn eines Finanzministers, der vermutlich eher einen Blick für die Öre an der Börse hat als Ohren für Lohnarbeiter:innen (vgl. Hag 1,6). Was ist leichter zu fragen, welches Kamel Jesus im Blick hatte, oder zu fragen, wieviel Löcher ein Golfplatz hat? (vgl. 2,9).
Das kleinste ist das vom Kamel. Da wird es nicht hindurch kommen, das Kamel, mag es sich auch noch so klein machen. Theologen haben dieser speziellen Prädestination sich deshalb angenommen, weil sie für das Schließen von Löchern prädestiniert sind, von Berufs wegen.
Dennoch wird in der Theologie nicht angenommen, dass Jesus Witze gemacht habe. In der Forschung klafft noch eine Wissens-Lücke, das schwarze Löchlein der Leben-Jesu-Forschung. Einen Witz über Reiche wird man ihm noch durchgehen lassen. Aber über Petros? Oder gar über ein Kamel, diese armselige Kreatur, deren Geschöpflichkeit von einer Maus sich so wenig unterscheidet wie von einer Ameise aus der Ameisenstraße? (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/glosse-umbenennungen)? Was ist ein Leben wert, das auf diese eine Frage reduziert wird: ob es hindurch-, hinein- oder sonst wo hingeht?
Fragen bleiben, da beißt die Maus keinen Faden ab. Auch Deutungen, die in die Geschichte eingegangen sind. Welche Nadel hatte Jesus im Blick? Den Stachel im Fleisch der Reichen oder den im Auge des Betrachters? Oder geht ein Witz auf Kosten geistig armer Theologen immer nach hinten los?
Das Nadelöhr sei gar nicht das Öhr einer Nadel, meinten welche, sondern ein Stadttor von Jerusalem, durch das nur Fußgänger:innen hindurchgehen, die keine Kamele seien. Andere meinten, Jesus habe von einem Schiffstau gesprochen. Beides ist zweifellos Seemannsgarn, hohl wie ein Öhr. Vielleicht sollte es dazu dienen, Jesus witzlos oder die historische Öhr-Forschung arbeitslos zu lassen.
Es ist, was es nicht ist. So weit, so offen. Das Öhr, prinzipiell dem Loch verwandt, stellt eine seiner kleinsten Existenzformen dar. Ohne das Drumherum ist auch ein Öhr nicht zu haben. Also braucht es eine Nadel, um ein solches zu sein, und die wiederum braucht den Faden. Andernfalls könnte das Öhr dem Kamel wie dem meist öhrlosen Reichen zum Hindernis werden, was nach wie vor erstaunlich und beiden vermutlich zu wenig bewusst ist.
Vielleicht ist es ja so etwas wie die schmale Pforte auf dem Weg ins Leben (Mt 7,14). Fest steht bisher nur, dass das Öhr des Mk ein anderes ist als das des Matthäus oder des Lukas (vgl. Mt 19,24; Lk 18,25). Alle drei stimmen darin überein, dass das Öhr trotz oder gerade wegen seiner Winzigkeit wichtig ist. Nicht einig sind sie sich in der Wortwahl. Was Theologen einfach nur Nadelöhr nennen, wird von ihnen mit je unterschiedlichen Ausdrücken belegt. Bei der Frage nach dem Warum fehlt selbst den Gebildeten unter ihnen der Durchblick.
Gab es womöglich verschiedene Öhre – je nach Branche, etwa der Schneider, Schuster oder Zeltmacher? Sollte Jesus einen Witz dreimal unterschiedlich gemacht haben? Verfügt die Leben-Jesu-Forschung gar über Hinweise, dass Jerusalem ein Zentrum der Öhrindustrie gewesen und Jesus von ihr bezahlt worden wäre, etwa, weil er ein ganz dickes Ding eingefädelt hätte? Ein riesiges Schwarzes Öhr tut sich auf.
Doch nein. Es liegt alles nur daran, dass Mk von der Spalte [der] Nadel spricht, als sei sie die kleine Schwester der Fels-Spalte (vgl. Jer 16,16). Als ginge sein Kamel-Witz auf Kosten eines Felsbrockens, der manchen den Durchgang versperrt wie eine verschlossene Pforte. Der selbst nicht hineinkommen wird ins Königtum Gottes; da kann er sich so groß machen, wie er will.
Apropos Öre: Die kleinste Münze im Römischen Reich ist der Quadrans, bei Mk genau das, was zwei Lepta wert sind (12,42), entsprechend seiner Währungsumrechnung, die man wohl nicht für bare Münze nehmen darf. Preisfrage: Was ist das Leben einer armen Witwe wert, die zwei Lepta in die Schatzkammer des Tempels wirft? Wen oder was opfert sie dort wirklich?
Antworten bitte an martin.zoebeley@elkb.de. Für jede richtige Antwort gibt es ein Öhr. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
Fazit: Wer Öhre hat, der höre den, der nichts hat (vgl. 4,23f).
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