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Die Geschichte des sog. Einzugs nach Jerusalem (Mk 11,1-11)

Aktualisiert: 11. Apr.

In der kirchlichen Tradition wird am Palmsonntag dieses triumphalen Ereignisses gedacht, als handle es sich dabei um eine historische Tatsache. Mk erzählt diese Geschichte jedoch anders; mit ihren allegorischen Anspielungen ist sie von einem Tatsachenbericht weit entfernt - und noch weiter von all jenen Bildern, die untrennbar mit dem Fest zu Beginn der Karwoche verbunden sind.


Bei Mk gibt es keine Menschenmengen, die Jesus am Weg zujubeln oder ihm huldigen, geschweige denn jemanden, der das mit Palmenzweigen tun würde. Und es gibt auch keinen Jesus, der auf einem Esel nach Jerusalem reitet - zum Zeichen einer Königsinvestitur.


Die folgenden, möglichst knappen Thesen versuchen, die Eigenheiten der Erzählung des Mk aufzuspüren, unabhängig von den geprägten kirchlichen Traditionen.


Es versteht sich, dass deren Deutungen auf den revidierenden Erzählungen des Matthäus (Mt 21,1ff) sowie des Johannes (Joh 12,12ff) beruhen. Ohne dies im Einzelnen zu belegen, bestätigt der Vergleich der judäochristlich orientierten Matthäus-Revision mit den hier genannten Eigenheiten deren Interpretation e contrario.


1. Mk erzählt das Gegenteil einer Messias-Inthronisation. Von einem Kommen, einer Ankunft oder einer Einsetzung zum gesalbten König Israels kann keine Rede sein. Das entspricht seiner Ablehnung des Christus-Titels (Vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/aus-dem-kleinen-abc-zum-markus-evangelium-c-christus).


2. Mk stellt der Geschichte die umständlich erzählte Auffindung eines Reittiers voran. Auf der Handlungs-Ebene geht es tatsächlich um die Frage, wie Jesus zu dem Tier kommt, auf das er sich dann setzt. Auf der Deutungs-Ebene hebelt Mk mit allen, auch skurrilen Mitteln seiner Kunst prophetische Traditionen Israels aus, insbesondere die des Sacharja (Sach 9,9).


3. Die Häufung der Ortsangaben (11,1), die schon in frühen Handschriften beseitigt wurde und dementsprechend textkritisch umstritten ist, gibt einen wichtigen Hinweis. Jerusalem (Hierosolyma) ist das Ziel – und der umständliche Weg über Bethanien und Bethphage eine literarische Konstruktion, um Bethlehem e silentio zu umgehen und mit einer auffälligen Opposition (das Dorf euch gegenüber) zu umschreiben.


Die Botschaft ist klar: Jesus ist kein Christus, denn er kommt nicht aus Bethlehem. (Vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/ceterum-censeo-wo-hat-jesus-gewirkt-7-3).


4. Begrifflich sind die Konnotationen bemerkenswert. Von dem Esel, von dem Sacharja spricht, bzw. von dem Fohlen eines (unterjochten) Zugtiers bleibt bei Mk nur das Junge (Fohlen), das auch einen jungen Mann bedeuten kann. Aus dem Aufsteigen wird bei ihm ein sich Setzen, das mit dem bezeichnenden Einsetzen (in ein Amt, etwa zum König) assoziiert ist.


5. Die Aussendung der beiden Schüler ist auf die fragwürdige Vollmacht zum Lösen dieses einen Tieres begrenzt. Dass sie auf Petros und dessen Vollmacht zur Binde- bzw. Löse-Gewalt hin erteilt wird, zeigt andeutungsweise der bildhafte Ausdruck der Tür, draußen am Scheideweg. Zur Bedeutung der Tür bei Mk folgt ein separater Beitrag.


6. Die beiden Gelegenheits-Apostel sollen bei ihrer befremdlichen Aktion auf ihren Auftraggeber verweisen, dabei aber nicht von einem Christus sprechen, sondern vom Herrn, der Bedarf hat (11,3). Diesem eindeutigen Hinweis entspricht die Pointe, dass damit offen bleibt, wer denn als Herr Bedarf an einem derart neuartigen Tier hat, Gott oder Jesus.


7. Das Aufwerfen der Mäntel spielt auf Petros an, der bei seinem ersten Auftreten als ein (den Mantel) Herumwerfender (1,16) und am Ende als ein (den Mantel) Aufwerfender (14,72) gezeigt wird. Der Mantel ist bei Mk ein Bild für Macht, das Aufwerfen ein Bild für Macht-Übertragung (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/aus-dem-kleinen-abc-zum-markusevangelium-m-mantel). Vgl. außerdem im Kontext den Bartimaios, der zuvor seinen Mantel weggeworfen hatte (10,50, vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/die-geschichte-des-bartimaios-mk-10-46ff).


8. Das für eine Reit-Strecke unsinnige Ausbreiten von Mänteln auf den Weg ist eine Pointe, die durch den Kontrast mit den Strohmatten noch verstärkt wird (11,8). Von den Feldern sind den Anderen offenbar die Halme geblieben, nicht aber das Korn, das für das Brot und damit für die Erkenntnis Jesu nötig wäre. Eine Erklärung bietet der fiktive Ortsname Bethphage (Fresshausen).


9. Die Psalm-Zitate (aus Ps 118) sind die lauthals vorgetragenen Gebete jener Menschen, die Jesus vorangehen und ihm nachfolgen (11,9). Diese Gleichsetzung seiner Nachfolger mit der jüdischen Tradition vor ihm wird in der nächsten Vershälfte insofern zum Witz, als sie unisono die kommende Königsherrschaft ihres Vaters David besingen.


Die Botschaft ist klar: Sie sehen sich selbst als Kinder ihres Vaters David; Jesus und das Königtum seines Vaters sehen sie nicht.


Darauf kommt Jesus zurück: Mit einem anderen Psalm-Zitat und demselben Thema (Sohn Davids) distanziert er sich später, am Ende der Jerusalemer Streitgespräche, vom Christus-Titel (12,36; vgl. Ps 110,1).


10. Der scheinbar triumphale Einzug endet mit einem Fiasco. Das ohnehin lächerliche Bild eines von allen Seiten ignorierten Jesus mündet in eine kümmerliche Antiklimax. Anstelle der feierlichen Inszenierung einer Königsinvestitur steht – nichts.


Übrig bleibt ein Jesus im Heiligtum, der sich umblickt (zurück zu seinen Nachfolgern?), bevor er es mit den Zwölfen verlässt (11,11) – am Abend, an dem es naturgemäß unmöglich ist, ihn zu erkennen.


PS: Auf dem Bild oben ist der eindrucksvolle Versuch zu sehen, das Geschehen nach der Erzählung des Matthäus zu zeigen, derzufolge Jesus auf zwei Tieren gesessen sei, auf einer Eselin und ihrem Fohlen (vgl. Mt 21,2.7; Pietro Lorenzetti, Assisi).

 
 
 

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