Die Geschichte der Einsetzung der Zwölf (Mk 3,13-19)
- martinzoebeley
- 2. Nov. 2023
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 20. Apr.

Mit ihren satirischen Elementen ist diese Geschichte eher eine Anti-Berufungsgeschichte. Um das zu zeigen, werden zunächst die vorausgehenden Berufungsgeschichten des Mk zu betrachten sein.
Mit dem Auftreten Jesu sind jedenfalls besondere Berufungen verbunden. Er ruft Männer in die Nachfolge, auch solche, die nicht als seine Schüler dargestellt werden (z.B. 2,14; 10,21). Damit werden von Anfang an Fragen des Gehorsams und der Lernfähigkeit aufgeworfen.
Seine Nachfolger sollen ihr Kreuz tragen, d.h., zu Selbstverleugnung und Martyrium bereit sein (8,34f) und bis zum Ende durchhalten (13,13). Erst bei der Kreuzigung Jesu kommen Frauen in den Blick, die ihm nachfolgen, ohne ausdrücklich dazu berufen zu sein (vgl. 15,40f).
Mit der Einführung des Begriffs der Schüler zeigt sich, dass es viele sind, die ihm nachfolgen (2,15). Das starke Anwachsen der Menschenmengen (vgl. 2,7; 4,1) kann als ein Erfolg der Menschenfischer gelten, von Petros und Andreas, derjenigen also, die Jesus nach seinem ersten Auftrag (Denkt um! 1,15) zuerst sieht und anspricht (1,16f; vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/übersetzungsfehler-1-16-die-netze-des-simon-und-seines-bruders).
Diese erste Begegnung mit Simon (Petros) und Andreas kann kaum als Berufung bezeichnet werden. Denn Jesus erteilt ihnen nur einen scharfen Befehl zur Position hinter ihm, nicht etwa eine Aufforderung zur Nachfolge, geschweige denn zur Schülerschaft (1,17).
Das anschließende Menschenfischer-Wort zeigt ebenso wie der Nachfolge-Begriff des Mk seine Intention, den Apostel-Begriff in Frage zu stellen. Im Rahmen der Berufungs-Geschichten werden Aussendungen ostentativ vermieden. Schon das Menschenfischer-Wort an die beiden (fiktiven) Brüder lässt sich nicht als (Apostel-)Auftrag deuten.
Bezeichnend für diese erste Anti-Berufung ist, dass sie in der Folge nur ihre Netze verlassen. Das ist eine ironische Anspielung auf den Besitz des Petros, der mehrfach erkennbar ist, von ihm aber vehement bestritten wird (10,28).
Direkt danach und parallel dazu wird die Berufung des Brüderpaars Jakobos und Johannes erzählt (1,19f). Im Unterschied zu den ersten beiden Brüdern lassen sie durch den Namen ihres Vaters (Zebedaios) sich als leibliche Brüder erkennen.
Bei ihnen heißt es ausdrücklich, dass Jesus sie ruft, ohne sie explizit in seinen Dienst oder in die Nachfolge zu berufen, und dann, dass sie fortgehen, ihm nach (1,20). So werden sie mit minimalem Erzähl-Aufwand als Märtyrer eingeführt.
Das hat endzeitliche Lohnfragen zur Folge und eine Sonderstellung, die sie zu ihrem Vorteil ausnutzen wollen (10,35f), die Jesus ihnen aber nicht zugesteht: Anderen ist es bereitet. (sic!, 10,40; vgl: https://www.skandaljuenger.de/post/übersetzungsfehler-in-der-bibel-fehler-der-vulgata-4-1).
Für das Ideal eines Rufs in die Nachfolge und damit im Kontrast zu den beiden ironisch gebrochenen (Anti-)Berufungs-Geschichten steht der kurze Auftritt des Levi (2,14f). Schon sein Name zeigt, dass er der ideale Nachfolger ist, was durch seinen Gehorsam bestätigt wird. (Vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/wer-war-der-levi-des-mk).
Die Zwölf werden kollektiv von Jesus gerufen (die er wollte, 3,13). Unkommentiert und ohne Begründung werden sie von ihm als die Zwölf eingesetzt (er machte die Zwölf, 3,14) und damit als eine feste Größe eingeführt, nicht aber als bevollmächtigte Führungsriege, geschweige denn als Symbol für ein neues Israel.
Derartige Deutungen liegen Mk fern. Es scheint vielmehr, als wolle er diese theologisch so bedeutsame Rolle ausdrücklich in Frage stellen, mit vielen Andeutungen, deren Ironie erst auf den zweiten Blick zu erkennen ist.
Auf einem Berg, dem symbolisch aufgeladenen Ort von Gesetz und Offenbarung, ruft Jesus also herbei, wen er wollte, und sie gingen fort, zu ihm (sic! 3,13, vgl. 1,20). Die Zwölf werden somit von vorne herein als Fortgehende eingeführt.
Doch die so geschaffenen Zwölf werden zunächst nicht als Apostel eingesetzt. Sie sollen nur mit ihm und nur insofern für potenzielle apostolische Aufträge verfügbar sein (dass sie mit ihm seien, und dass er sie aussende zu verkünden, 3,14).
Der Umfang ihrer Bevollmächtigung bleibt begrenzt auf das Auswerfen von Dämonen (3,15). Später wird er weiter eingeschränkt werden (6,7), was die Zwölf aber ignorieren (vgl. 6,12.13.30). Zur Verkündigung oder zur Lehre werden sie jedenfalls nicht berufen.
In der Geschichte ihrer Aussendung spricht Jesus die Befugnis der Unreinen Geister an, nicht aber deren Auswerfen (6,7). Sie aber werfen unaufgefordert viele Dämonen aus (6,13). So entspricht ihr Verhalten dem der widergöttlichen Mächte; ihr Ungehorsam ist ein Werk des Satans, des obersten der Dämonen - alias des Petros.
Jedenfalls bleibt das Einsetzungs-Geschehen auf dem Berg äußerst kümmerlich. Ohne die Spur eines Initiationsritus, einer Theophanie oder einer Offenbarung gibt Mk der Szene so wenig Bedeutung wie irgend möglich (vgl.
So bleibt auch jede unmittelbare Reaktion der Zwölf aus. Schon mit ihrem ersten Auftreten waren keinerlei Huldigungen oder Anrufungen Jesu verbunden, wie sie sonst erzählt werden, zuvor von den Menschenmengen, die bei ihm hinfielen (3,10), als auch von den Unreinen Geistern, die vor ihm niederfielen (3,12).
Ihre Ignoranz hat einen einfachen Grund: Sie wissen nicht, dass Jesus viel mehr ist als nur ihr Lehrer. Und sie erkennen ihn bis zuletzt nicht als ihren Retter (vgl.
https://www.skandaljuenger.de/post/die-geschichte-der-sog-sturmstillung-mk-4-35-5-1), noch im Brot der Mahlfeier (vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/aus-dem-kleinen-abc-zum-markus-evangelium-e-essen).
Die von Mk teilweise erfundene Zwölferliste wird angeführt von den beiden zuerst genannten Brüderpaaren. Dabei kommen den sog. Säulen, dem Führungstrio von Petros, Jakobos und Johannes (vgl. Gal 2,9), die ersten Plätz zu, weshalb Andreas an die vierte Stelle gerückt wird. Die Namensliste als solche wird im Rahmen dieses Blogs noch ein eigenes Thema sein.
Ein satirisches Moment entsteht von vorne herein - durch den Anschluss an die Unreinen Geister. Wenn Mk diejenigen, die Jesus ruft, nicht klar von ihnen absetzt, hält er in der Schwebe, ob die Zwölf womöglich zu ihnen gehören. Darauf bezieht sich umgekehrt der Vorwurf, Jesus habe einen Unreinen Geist (3,30). Tatsächlich hat er - die Zwölf.
Ein weiteres satirisches Moment im direkten Vorfeld der Zwölferliste besteht darin, dass sie an die Nennung der Dämonen anschließt (3,16). So bleibt nicht nur in der Schwebe, ob Mk womöglich Namen von Unreinen Geistern aufzählt; die Frage ist insbesondere, wie ihr Anführer zu den Dämonen steht.
NB: Dieser Anschluss und damit die unmittelbare Nähe des Petros zu den Dämonen wurde in wichtigen Handschriften durch einen Einschub unkenntlich durch die wiederholte Angabe Er machte die Zwölf (3,15).
Ebenso unsinnig ist ein erster Einschub zuvor, der den Zwölfen von vorne herein und gegen Mk offiziell den Apostel-Status zuerkennen möchte (die er auch Apostel nannte, 3,14). Eben diesen Status stellt Mk mit allen Mitteln seiner Erzähl-Kunst in Frage (vgl. 6,7ff).
Der kontextuell mögliche Eindruck, Mk zähle zwölf Namen Unreiner Geister auf, bestimmt jedenfalls das weitere Geschehen. Die anschließend auftretetenden Schreiber beziehen sich indirekt auf Petros mit ihrem Vorwurf, Jesus werfe mit dem Herrscher der Dämonen die Dämonen aus (3,22).
Im Klartext: Petros gilt nicht nur als Anführer von Unreinen Geistern; als Oberster der Dämonen ist er - in der Wahrnehmung der Schreiber - der Widersacher Gottes schlechthin, der Satan (vgl. 8,33). So gesehen kann er den Satan auch nicht auswerfen, wie Jesus ihnen in einem Rätsel erklärt (3,23).
Um das komplexe Bild des weiteren Geschehens auf einen einfachen Nenner zu bringen: Mit der Einsetzung der Zwölf beginnt ein Problem nach dem anderen. So wird Jesus bald danach in einer Rede, die mit dem Ruf Hört! beginnt, Stellung gegen Petros beziehen, mit einem Rätsel nach dem anderen (z.B. 4,5.16; Vgl. https://www.skandaljuenger.de/post/aus-dem-kleinen-abc-zum-markusevangelium-r-rätsel).
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